Flüchtlingsskandal
Problemraum wurde als „Frisierzimmer“ verschleiert!
Was wusste wer seit wann? Nach dem Bekanntwerden der Misshandlungen in Flüchtlingsheimen gibt NRW-Minister Jäger zu, dass die Probleme größer waren als gedacht. Auch „Qualitätsmängel“ waren bekannt. Von Kristian Frigelj
Ralf Jäger gelang auch dieses Mal kein Befreiungsschlag im Skandal um misshandelte Flüchtlinge. Nordrhein-Westfalens Innenminister (Link: http://www.welt.de/133209765) musste stattdessen in einer Sondersitzung im Landtag einräumen, dass die Probleme mit gewalttätigen Wachleuten in Unterkünften für Flüchtlinge größer waren als bisher bekannt.
Mittlerweile wurden nach Angaben seines Hauses 48 Ermittlungsverfahren gegen Sicherheitsbedienstete in sieben Einrichtungen des Landes NRW (Burbach (Link: http://www.welt.de/132735311) , Bad Berleburg, Dortmund, Essen, Hemer, Neuss und Unna-Massen) eingeleitet – überwiegend wegen Körperverletzung. Davon wurden 18 wegen mangelnden Tatverdachts und geringer Schuld eingestellt, 20 befinden sich noch in polizeilicher Sachbearbeitung und zehn bei der Staatsanwaltschaft.
Zudem stellte sich in der mehr als vierstündigen Beratung (Link: http://www.welt.de/132739611) im Innenausschuss heraus, dass Konflikte in Burbach intern schon früh bekannt gewesen waren. Die Kreispolizeibehörde in Siegen-Wittgenstein hatte nach Angaben des Innenministeriums im Juni personelle Unterstützung angefordert, weil in Burbach vermehrt Notrufe wegen Körperverletzung und Diebstahls unter Flüchtlingen (Link: http://www.welt.de/133275860) eingegangen waren.
Die Verstärkung wurde bewilligt. Im August informierte die Polizei das Landeskriminalamt und das NRW-Innenministerium in zwei Mitteilungen darüber, dass es „Qualitätsmängel“ beim Sicherheitsdienst in Burbach gegeben habe und der Sicherheitsdienst (Link: http://www.welt.de/133169811) zum 1. August ausgetauscht worden sei.
Neuer Wachdienst, altes Personal
Die Behörde erwähnte damals auch, dass es einen sogenannten Separationsraum gegeben habe. Das Zimmer hatten die Sicherheitsleute gegenüber der Polizei als „Frisierzimmer“ verschleiert. Erst später stellte sich jedoch nach Angaben des Ministeriums heraus, dass es in Burbach intern „Problemzimmer“ hieß und dass dort Flüchtlinge festgehalten und misshandelt worden waren. Auch erfuhr man erst im Nachhinein, dass der im August ausgetauschte Wachdienst zum Teil das alte Personal weiterbeschäftigt hatte.
NRW-Innenminister Jäger betonte, er könne es nachvollziehen, dass es in Einrichtungen „Separationszimmer“ gebe, um Personen in Konflikten einen freiwilligen „Rückzug“ anzubieten; keinesfalls dürfe dies unter Zwang geschehen – „alles andere ist eine Straftat.“ In Burbach sei der Raum für Straftaten genutzt worden.
Jäger betonte erneut in Bezug auf seinen Verantwortungsbereich: „Keiner im Haus wusste von Übergriffen.“ Dies sei erst am 26. September bekannt geworden, als Journalisten den Behörden Aufnahmen von Wachleuten über misshandelte Flüchtlinge übergeben hätten.
Selbstkritisch räumte Innenminister Jäger am Mittwoch jedoch grundsätzlich vor den Abgeordneten im Innenausschuss ein: „Die Frage der Kontrolle (Link: http://www.welt.de/132779081) haben wir vernachlässigt vor dem Hintergrund, neue Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen.“ Der SPD-Mann zitierte auch eine Mail der Bezirksregierung Arnsberg, die erst Mitte Oktober verfasst und verschickt wurde und in der die Landeseinrichtungen angewiesen wurden, keine „Problemzimmer“ zu unterhalten.
Eine Frage der Verantwortung
Abgeordnete von CDU und FDP warfen Jäger „Aufsichts- und Organisationsversagen“ vor und verbanden dies mit indirekten Rücktrittsforderungen. „Sie wussten sehr früh sehr viel. Wir können Sie aus der Verantwortung für die Vergangenheit nicht entlassen“, sagte Werner Lohn (CDU). Piraten-Parlamentarier Dirk Schatz sah beim Minister ebenfalls eine Mitverantwortung für skandalöse Zustände in Unterkünften: „Es gab Hinweise über Monate hinweg. Er hätte es besser wissen müssen.“ Spätestens nach Brandbriefen des Oberbürgermeisters von Dortmund 2013 hätte Jäger „proaktiv“ werden müssen.
Der stark angeschlagene NRW-Innenminister und dessen Staatssekretär Bernhard Nebe verteidigten sich und betonten, das Land habe in einem „großen Kraftakt“ seit 2011 zusätzliche Unterkunftsplätze geschaffen. Jäger beteuerte, dieses Thema habe ihn seit dem ersten Tag seiner Amtszeit begleitet, und äußerte erneut sein Bedauern über die Misshandlungen. Staatssekretär Nebe wurde zeitweise emotional und sagte an die Opposition gewandt: „Sagen Sie bitte nicht, wir täten nichts. Das ist nicht fair.“
Lage war seit längerer Zeit bekannt
Freilich räumten sie auch ein, dass die Einrichtungen des Landes insgesamt überfüllt sind. Runde 7500 Flüchtlinge sind demnach auf reguläre 5000 Plätze und 1700 Plätze in Notunterkünften verteilt. Die Überbelegung (Link: http://www.welt.de/133304311) war auch den Abgeordneten durch mehrere Debatten im Landtag seit Langem bekannt.
Die Grünen-Abgeordnete Monika Düker sagte am Ende selbstkritisch in die Runde: „Wir wussten das alle.“ Es habe keiner Nachfragen gestellt, abgesehen von den Piraten, meinte Düker mit Blick auf die nun kritisch auftretende Opposition und betonte: „Die Einzigen, die den Job richtig gemacht haben, sind die Piraten.“
Der FDP-Abgeordnete Joachim Stamp warf jedoch ein, dass die Landesregierung allerdings immer den Eindruck erweckt habe, sie habe die Probleme im Griff.
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